ANALYSE UNITÉ D’HABITATION, MARSEILLE, FR
Die Unité d’Habitation ist ursprünglich als vertikale Stadt konzipiert, die allen menschlichen Anforderungen entsprechen und verschiedene Einrichtungen des täglichen Bedarfs integrieren sollte. Durch eine standardisierte Serienproduktion sollte ein hohes Maß an Wirtschaftlichkeit erreicht und ein erhöhter Wohnkomfort für eine breitere Masse ermöglicht werden.
Das Gebäude besteht aus 18 Geschossen, wobei sich anstelle des Erdgeschosses ein Freigeschoss mit Stützen befindet, die den Skelettbau aus Stahlbeton tragen. In dieser Ebene befinden sich auch die Aufgänge. Insgesamt sind 337 Maisonettewohnungen (jeweils zweigeschossig) ausgebildet: in einer Ebene die gesamte Gebäudebreite einnehmend, in der nächsten Ebene die Hälfte dafür mit Anschluss an die Mittelgangerschließung. So sind die Verkehrsflächen zur Erschließung der Wohnungen nur in jedem dritten Stockwerk nötig. In der siebten und achten Ebene befinden sich verschiedene Geschäfte, ein kleines Hotel und eine Wäscherei. Auf der begehbaren Dachterrasse sind ein Kindergarten, ein Freilufttheater und eine Sporthalle vorhanden, die wie die Geschäfte und das Café im Hotel frei zugänglich sind.
Nachdem zu Beginn die fünf unterschiedlichen Arten des Space Sharings herausgearbeitet und vorgestellt wurden, werden im nächsten Schritt die Analysen nach dem Prinzip Space Sharing präsentiert. Ziel der Case Study – Living 4.0 ist es die Forschungsfrage nach der Umsetzung und Auswirkung von Nutzungsüberlagerungen und Mehrfachnutzungen in Bestandsgebäuden, sowie deren Transformation zur multifunktionalen 24-Stundennutzung zu untersuchen.
Die bereits vorgestellte Funktionslegende (siehe Case Study Living 4.0 #1) dient als Grundlage für alle folgenden Analysen der Unité d’habitation in Marseille von Le Corbusier (1952). Als erstes wird eine klassische Funktionsanalyse von zwei exemplarischen Maisonette Wohnungen in der Unité d’habitation betrachtet (Wohnung 1: OG 4 – OG 5 und Wohnung 2: OG 5 – OG 6). Die Funktionen sind, wie in der klassischen Moderne üblich, klar definiert und voneinander getrennt. Die Flächen scheinen effektiv angeordnet und gut ausgenutzt zu sein. Es fallen bereits bemerkenswerte Details wie beispielsweise Schiebewände auf, die für eine zukunftsgewandte und flexible Wohnsituation sprechen.
Anhand der Wohnmaschine wurde im vorangegangenen Schritt eine klassische Funktionsanalyse im Bestand untersucht. Um die Forschungsfrage des Reallabor Space Sharings untersuchen zu können, stößt man in der klassischen Betrachtungsweise jedoch schnell an die Grenzen des Möglichen. Um sowohl Leerstand als auch Potentialräume für Space Sharing aufzeigen zu können müssen die Analysen komplexer betrachtet werden und werden hierfür in drei Zeitintervalle (Nacht, Tag, Abend) aufgeteilt.
Die Betrachtung in Zeitintervallen, setzt anders als die klassische Funktionsanalyse, Szenarien essenziell voraus anhand derer die funktionale Bespielung und somit auch der Leerstand anhand realer Beispiele ausgelotet werden können. Die folgenden Szenarien wurden anhand einer Auswahl von Familienmodellen gewählt, wie sie auch zu Zeiten von Corbusier bereits denkbar waren und so wurden für die weiterführende Analyse zwei klassische Lebensmodelle (Szenarien aus 1952) gewählt. Im Fall der Unité d’habitation ist eine der zwei untersuchten Wohnungen von einer Familie mit Alleinerziehendem, selbstständig arbeitendem Elternteil (Wohnung 1: OG 4 – OG 5), die zweite Wohnung durch eine vierköpfige Familie mit zwei berufstätigen Eltern bewohnt (Wohnung 2: OG 5 – OG 6).
Bemerkenswert ist, dass erst bei Betrachtung derselben Wohnung in Zeitintervallen die Ausmaße des reellen Leerstands sichtbar werden. Durch die reine Wohnnutzung stehen mehr als 2/3 der Wohnung in der Nacht (23:00 – 06:00 Uhr) leer. Am Tag (6:00 – 18:00 Uhr) stehen zwischen 2/3, bis hin zur kompletten Wohnung leer. Am Abend (18:00 – 23:00 Uhr) liegt die Ausnutzung hingegen, abhängig vom Wochentag, zwischen komplettem Leerstand bis hin zu einer Nutzung von ca. 80%.